Häuser mit Hangar

Ich sitze als Passagier in einer Boeing 747-400, in der Hand das Fliegermagazin 12/2018. Verblüfft lese ich „New Smyrna Beach“ im Artikel „Fliegerparadies“: das ist genau mein Reiseziel! Letztes Jahr war ich dort fliegen und wunderte mich, genau wie jetzt der Autor, über die komplizierten Lufträume. Und ja, ich hatte von „Spruce Creek“ gelesen, aber hey: es ist tatsächlich nur 25 Minuten mit dem Auto entfernt?

Am Sonntag fahren wir hin. Downwind Café steht im Navi, 100 Cessna Boulevard. Wir bekommen ein Guest-Entry Schein, mit dem wir nur auf direktem Wege zum Café fahren dürfen, Sightseeing per Auto durch das Gelände ist nicht gestattet und auch gar nicht so einfach: die meisten Straßen in dieser „Fly-In Community“ sind nämlich keine Straßen, sondern schmale Taxiways mit einer gelben Centerline. No cars allowed!

Im Café fragen wir, ob man einfach herumlaufen darf. „Of course! No problem, just make sure you don’t get overrun by a plane“. So spazieren wir also den Taxiway Lima entlang, links die Piste, rechts Wohnhäuser mit „Garagen“ bzw. Hangars, von denen manche halb offen stehen und den Blick auf den ein oder anderen Propeller freigeben.

Ausserdem unfassbar große Fliegennetze, die das halbe Haus und Grundstück umspannen wie eine Vogelvolière – ein teurer Preis für die vielen künstlichen Wasserflächen und Springbrunnen der ganzen Condominium Anlagen in dieser Gegend. Aber teuer… das ist hier egal. Die Häuser kosten zwischen 200.000 und 5 Millionen Dollar – ohne das, was dann noch in den 700 Hangars der größten Fly-In Anlage der Welt so herumsteht. 5.000 Residents wohnen hier in 1.300 Häusern.

Altes aber schönes Chart mit allen Taxiways. Die Piste ist inzwischen 6/24 Ausrichtung.

Jetzt müssen wir erst einmal zur Seite gehen, hinter uns nähert sich ein Motorengeräusch, eine Cessna taxelt zu ihrem Wohnhaus, das Fenster lässig geöffnet, es hat weit über 20 Grad im Florida-November.

Als nächstes überholt uns ein Golf Caddy, das ist das übliche Transportmittel hier. So lernen wir nach und nach, wer hier so wohnt, ein Drittel Familien, ein Drittel Rentner, und ein Drittel Businessleute, wie wir später erfahren. Die meisten Caddies fahren auf dem Beifahrersitz einen großen Hund spazieren – gleich verstehen wir auch, wohin: Vor der Schwelle der RWY 24 befindet sich eine Hundewiese, auf welcher der Liebling dann vom Nebensitz geschubst wird.

Im Schrittempo folgt der Caddy dann dem schnüffelnden Tier, bis es zum Geschäfts ansetzt. Praktisch ohne Auszusteigen angelt der oft seniore Fahrer dann mit einer Tüte nach dem Unrat und fährt mit Hund und Beute zu dem speziell aufgestellten Mülleimer-Ensemble, an dem auch ein Tütenspender platziert ist.

Währenddessen kreist die ein oder andere Maschine in der Platzrunde. Heute ist praktisch Windstille. Der Platz ist – natürlich – unbemannt. Landen dürfen hier alle Residents und Gäste mit einer Einladung. Korrekt Funken ist heute angeraten: die Flugzeuge nutzen beide Start- und Landerichtungen, je nachdem, wo es sich auf kürzestem Wege zum hauseigenen Hangar abrollen lässt. 

Eine Extra rollt zur Run-up Fläche RWY 24, macht ein bisschen Lärm und startet dann energisch in den Südwesten, aus dem kurz danach eine Piper aus dem Himmel auftaucht und sich in abgehackten Stufen der Piste nähert, wenn auch nicht so recht tief genug, um aufzusetzen. Das ganze Manöver sieht unglücklich aus, der Motor klingt nach Durchstarten, trotzdem touchiert die Maschine noch einmal kurz und zieht dann nach oben weg – das war wohl nix.

Steile Linkskurve und neuer Versuch, der Anflug ist wieder viel zu hoch, trotzdem gelingt das Touch & Go, wenn auch weit im hinteren Drittel der Piste. Die nächste Landung passt und ist so nah an der Schwelle, dass wir nur die Reifen quietschen hören. Die Maschine rollt zum kleinen Taxiway neben uns und biegt ab. Das Motorengeräusch verliert sich allmählich zwischen den Häusern.

Jetzt macht uns eine gelbe Piper Cup Freude, startet in die Gegenrichtung und hebt nach gefühlten 10 Metern ab. Auch hier ein paar Touch and Go’s. Der Resident, der den Traffic aus seinem Caddy beobachtet, kommt vom 18-Loch Golfplatz des Geländes, hat seine Golfschläger geladen und hört den Funk mit. Er erzählt uns, dass der Traffic unter 1200 Fuß bleiben muss, weil der Daytona Airport in direkter Nachbarschaft liegt. Auch der New Smyrna Beach Municipal Airport ist nah, da darf sich der ganze Traffic nicht in die Quere kommen. Aber, sagt der Resident, „we are good friends“. Man arrangiert sich.

Er gibt eine Story zum besten, wie vor einem Jahr eine Mooney gelandet ist, ohne das Fahrwerk auszufahren. Drei Leute hätten an der Schwelle gestanden und das Unglück kommen sehen, doch keiner hätte ein Funkgerät mit Sendefunktion bei sich gehabt, um den Piloten zu warnen. „It was a good landing“, fasst er zusammen, sie hätten die Piste für eine halbe Stunde gesperrt und das Flugzeug mit Ballons unter den Flügeln hochgehoben, Gear ausgefahren und von der Piste gerollt. Schwamm drüber, kein Papierkram, Piste wieder geöffnet und Business as usual. „We don’t want Big Brother watching us here“, grinst er.

Freitags hätte es immer eine kleine Flugshow gegeben, bis vor einiger Zeit zwei erfahrene Airline Piloten mit ihren kleinen Prop Maschinen eine Formation flogen und sich in einer „upper Wing, lower Wing“ Situation berührt hätten. Die Maschinen mussten aus dem Meer gefischt werden, und Formationen gehören seitdem nicht mehr ganz so häufig zum Freitagabend Programm der Community.

Wir versprechen trotzdem, wiederzukommen, es soll dennoch einiges am Freitag los sein. „Welcome, welcome, welcome!“ sagt er nachdrücklich mit einer ausladenden Geste, als wir uns verabschieden. Unfassbare Herzlichkeit, die man sich in Deutschland so gar nicht vorstellen könnte. 

Wir wollen gerade den kleinen Weg zum Taxiway Lima zurückgehen, als sich zwischen den Bäumen… ein riesiges Triebwerk hindurchschiebt. Wir reiben uns die Augen: hier rollt eine Turbine auf Rädern auf uns zu, es dudelt Country Musik, irgendwo raucht es ein wenig und oben gucken fröhliche Menschen heraus, die uns bestgelaunt zuwinken. Wir sind sprachlos, während es für sie das Normalste der Welt ist. Die Turbine schippert an uns vorbei, passiert die Hundewiese und die Schwelle der Runway und biegt ab in die Häuserzeilen auf der Seite gegenüber. Die Dudelmusik wird leiser und leiser, und die kleine Rauchfahne hat sich über der Piste in Luft aufgelöst.

Langsam geht die Sonne unter in Spruce Creek. Ein paar Jogger begegnen uns auf dem Taxiway, ein weiterer Caddy mit sehr großem Pudel, noch ein Caddy, der aussieht wie ein Cadillac (!), mit einem sehr, sehr dicken Mann. Alle grüßen lässig, eine Hand halb erhoben. Wir schlendern an ein paar Leuten vorbei, die um einen Caddy herumstehen, dessen Fahrer gerade erzählt: „We had 98 guests for Thanksgiving! We invited all the Cowboys, and all the deputy sheriffs, all the family“. Wir gucken uns wortlos an. Hier ist eben alles ein bisschen größer. Die Häuser, die Hangars, und auch die Thanksgiving Parties.

Jetzt endlich kehren wir ein ins Downwind Café, beziehungsweise natürlich sitzen wir nicht drinnen, sondern draußen mit Blick auf das Vorfeld und den Taxi Traffic, der zum ECET nochmal sehr lebendig wird. Direkt über uns kreuzen die Flieger midfield, direkt neben uns rollen sie zur Tankstelle. Die Bewohner kommen mit Amphibienflugzeug, Kunstflugzeug, Cessna, Fahrrad, Longboard, Rollerskates, Tesla oder Mercedes C350 Cabrio vorbei. Einige holen Pizza, andere kommen an die Bar.

Wir essen einen fantasischen Hangar Burger und sprechen über John Travolta, der hier auch mal Resident war, bis seine Flugzeuge der Community zu groß wurden. Ein brauner Porsche GT3 röhrt vorbei und parkt in einem halbgeöffneten Hangar neben einem weißen Porsche. 

Wir sind uns einig, das war einer der skurrilsten Orte, den wir seit langem besucht haben – und auch einer der tollsten. We will be back on Friday!

Spruce Creek Website, Anflugblätter, zahlreiche Infos zum Fliegen, Events, Wohnen hier: http://www.7fl6.com.

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