Ich schreibe das meinen Fliegerkollegen. Auf Facebook las ich zuvor bei einem unserer Piloten, der sonst fröhliche Backstage Fotos vom Airrace postet, dass Hannes Arch ein toller Mensch war.
Der Moment, wo dieser Satz einsinkt in die Wahrnehmung: war.
Ich kann gar nicht beschreiben, wie mir das Blut in den Adern stockt. Für mich scheint es, als wäre ein Fisch im Wasser ertrunken. Es kann schier nicht sein, dass einer der besten Piloten der Welt tot ist.
Abgestürzt. Das spült meine ganzen Ängste hoch. Das Unbehagen, einen Sport auszuüben, in dem ich ständig das Schicksal herausfordere. Mich hoch über der Erde bewege, wo ein Fehler reicht, um unten aufzuschlagen.
Wir reden nicht von einem Autounfall, aus dem man mit blutiger Nase aussteigen kann. Wir sind ausgeliefert. Und wir Jungpiloten sowieso. Wenn in der Luft etwas schiefgeht, setzt sich eine wahnwitzige Kettenreaktion in Gang, in der sich blitzschnell Problem auf Problem aufbaut. Wir haben wenige Sekunden, in denen wir unter Lebensgefahr diese Probleme lösen müssen. Erfahrene Piloten haben mir gesagt, dass sie nicht sicher sind, ob sie das schaffen würden.
Wenn ich fliege, habe ich keine Angst.
Ich bin beschäftigt. Ich orientiere mich, ich funke, halte Höhe und Kurs, checke Instrumente, höre zu, was andere Flugzeuge machen, korrigiere Abdrift, notiere Startzeiten, Landeinformationen, betrachte mein iPad, suche Pisten, achte auf Lufträume und Sperrzonen, Wind und Wetter, meinen Copiloten und Dinge in der Luft wie Vögel, Paraglider, Fallschirmspringer, Segelflugzeuge, Helikopter, Motorflugzeuge, Drohnen, Heißluftballons oder Luftballonbündel von Hochzeiten.
Das Unbehagen kommt nachts.
Ich liege wach im Bett und reflektiere den letzten Flug. Das Schlepp-Flugzeug, welches einen Segelflieger genau von unten in unsere Fluglinie zieht. Der Start, als die Überziehwarnung schrillt. Touchdown in Schärding mit leerem Tank. Abbruch des Funkkontakts in der Platzrunde.
Die Gedanken gehen dann immer den nächsten Schritt. Was wäre wenn. Was wäre, wenn ich einen Motorausfall hätte? Was wäre, wenn Gegenverkehr plötzlich direkt vor mir auftauchte? Was, wenn ich auf einer kurzen Bahn zu spät aufsetzen würde und nicht genug Speed zum Durchstarten hätte?
Wir haben diese Situationen durchdacht in der Ausbildung. Einige davon haben wir oft geübt: Motorausfall, Durchstarten, Abfangübungen. Das hat sehr viel Spaß gemacht. Aber das Unbehagen bleibt.
Ob das mal weggeht, fragte ich letztlich einen Kollegen. Klar. Irgendwann ist das wie Busfahren, meinte er. Ich muss wohl noch viel Busfahren. Eigentlich glaube ich, es ist Typsache. Ich grüble auch im normales Leben oft über existenzielle Situationen. Ein Psychologe sagte mal, das sei das „Beirut Syndrom“: man ziele darauf, sein Leben mit Drama aufwerten. Ich vermute, für mich stimmt das nicht. Ich kann ausreichend Drama vorweisen, und ich würde mir wünschen, ohne zwanghafte Gedanken einzuschlafen. Ich denke, ich wünsche mir etwas ganz Einfaches: Sicherheit.
Darin steckt ein essentieller Antrieb. Die Faszination des Fliegens besteht für mich – auch – darin, auf sehr vielen Ebenen gleichzeitig Sicherheit herzustellen. Das Beherrschen komplexer Aufgabengebiete, die synchronisiert einen Flug ermöglichen. Ist Fliegen schwer? Werde ich manchmal gefragt. Ja. Für mich ist es das Schwerste, was ich jemals gemacht habe. Mit Abstand. Und ich habe schon einiges Schweres ausprobiert.
Aber das ist genau die Faszination.
All das Können gleichzeitig abrufen. Und dann… über die Berge fliegen. Zwischen Bergen durchfliegen. Grüne Wiesen im Sonnenuntergang. Kleine Bauernhöfe von oben. Schnee auf den Gipfeln. Türkisfarbene Seen, wirklich mit Abstand das Schönste. Ich kann gar nicht genau sagen warum – aber vielleicht merke ich über einem See besonders, dass ich mich da bewege, wo sonst kein Mensch hinkommt.
Ich stehe bei einer Kollegin im Büro. Bei uns hängen viele Bilder der Flying Bulls und vom Airrace. Ausgerechnet in ihrem Zimmer hängt eins von Hannes.
Ich hab ihn zuletzt bei einer Veranstaltung in der Scalaria am Mondsee gesehen. Seine Freundin Miriam hatte sich am Tag zuvor bei einem Stunt mit ihm und seinem Helikopter, der jetzt in den Bergen liegt, beide Füße gebrochen. Sie saß im Rollstuhl und trug ein bildschönes weiß-schwarzes Kleid und zwei weiße Gipsbeine. Zur Abreise trug Hannes sie zu seinem Helikopter und hob sie über die Schwelle auf den Kopilotensitz. Ein rührender Moment.
Trennungen von lebenden Menschen sind schon schwer. Aber wie muss es sein, sich von jemandem zu verabschieden, von dem man sich nicht verabschieden konnte.
Was für ein toller Text.
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